Die Verantwortlichen der Zubringer-Baustelle im grossen Interview

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von Dominik Stierli für obfelden.info und dem Affolter Anzeiger (Ausgabe 2. Juni 2023)

Schon seit sechs beziehungsweise fünf Jahren beschäftigen sich Christian Kull von der Bau­direktion Zürich und Melven Hürlimann der Gruner Berchtold Eicher AG mit dem Autobahn­zubringer­ Projekt. Zumindest für Christian Kull endet die Arbeit aber nicht mit der Eröffnung.

«Anzeiger»: Der Autobahnzubringer A4 Obfelden/Ottenbach wird dieses Wochenende eröffnet. Was sind Ihre Rollen in diesem Bauprojekt?

Melven Hürlimann: Ich bin Chefbauleiter des Projekts und war vor allem vor Ort auf der Baustelle tätig. Ich arbeite für die Gruner Berchtold Eicher AG aus Zug.

Christian Kull: Ich bin Gesamtprojektleiter vonseiten des Kantons Zürich und somit verantwortlich für Kosten, Termin und Qualität. Und damit erster Ansprechpartner unter anderem für Medien und Bevölkerung.

Seit wann beschäftigen Sie sich mit diesem Projekt und was waren Ihre ersten Aufgaben?

Kull: Im Mai 2017 ging der damalige Projektleiter Martin Kummer in Pension und ich habe das Projekt übernommen. Eines der ersten Arbeiten, die ich ausgelöst habe, waren die archäologischen Sondagen im November 2017.

Und wie ging es danach weiter?

Kull: Für die Auftragsvergabe wurde ein zweistufiges Beschaffungverfahren gewählt. In einer ersten Stufe konnten sich Fachplaner und Unternehmen als Generalunternehmen zusammentun und sich für die Vergabe der Arbeiten bewerben. Aufgrund dessen wurden drei Bewerber für die zweite Stufe zugelas- sen. Diese reichten ein technisches und ein preisliches Angebot ein. Zuerst wur- de das Technische bewertet und danach erst das Preisliche. Der Auftrag ging dann an die Firma Anliker mit Guner als Hauptplanerin plus zusätzlichen Spezialisten für Sicherheitsanlagen, Umwelt, Geologie, Moor- oder Amphibien. Es war ein unglaublich grosses Planer-Team, welches im Hintergrund mitgewirkt hatte.

Hürlimann: In dieser zweiten Phase des Submissionsverfahren im Juni 2018 kam ich erstmals mit dem Projekt in Kontakt.

«Mit dem Zeitplan waren wir sportlich unterwegs.» 

Melven Hürlimann, Bauleiter

Was waren die grössten Herausforderungen im Projektverlauf?

Hürlimann: Eine der grossen Herausforderungen war der Zeitplan. Ich glaube man darf schon sagen, dass wir sportlich unterwegs waren. Daneben ist auch die komplexe Baulogistik in Bickwil zu erwähnen.

Kull: Das sehe ich auch so, dass die Projektorganisation die grösste Herausforderung war. Das Ingenieurbüro mit allen Fachplanern musste das Ausführungsprojekt parallel dazu machen. Es war eigentlich eine laufende Planung im Hintergrund.

Gab es irgendwo grössere Probleme?

Hürlimann: Nein, das war eine Baustelle im normalen Rahmen.

Kull: Ich glaube die grössten Herausforderungen im Bauprojekt lagen in der Logistik und die Etappierung. Man teilte das Projekt in 12 Abschnitte, wo man entsprechend durchplanen musste. Wir sehen am Ende das Produkt Strasse, aber was unter dem Boden mit all den Werkleitungen, Strassenentwässerung, Frischwasser, Telekommunikation oder Strom für Beleuchtung auch benötigt wird, nimmt man gar nicht so wahr. Aber auch das ist ein grosser Bestandteil der Bautätigkeiten.

Bei der 255 Meter langen Überdeckung in Bickwil sprach man vom Herzstück des Zubringers. Gab es daneben weitere anspruchsvolle Bauabschnitte?

Hürlimann: Anspruchsvoll ist vielleicht nicht das richtige Wort, aber ein interessanter Bauabschnitt war der Fabrikkanal in Ottenbach. Es ist nicht alltäglich, dass eine Brücke in einer Kurve und mit Gefälle verläuft.

Kull: Genau. Mit dem zu bauenden Radius und dem Gefälle war es statisch auch eine gewisse Herausforderung. Also vor allem darum, weil es so kein alltägliches Objekt zur Umsetzung ist.

Gibt es weitere erwähnenswerte Punkte?

Kull: Weiter zu erwähnen sind die 6000 Quadratmeter Moorfläche, welche regeneriert wurden. Davor wurden Altlasten herausgenommen und fachgerecht entsorgt. Auch für die Amphibien wurde viel gemacht. Ich finde die Zahl von viereinhalb Kilometern Leitelemen- ten noch beeindruckend. Dazu kommen 15 Kleintierdurchlässe oder auch die Wildtierunterführung beim Bibelaas um die Vernetzung mit den Wildtierbrücken herzustellen. Das finde ich schon noch beeindruckend, in welchem Umfang die Umweltmassnahmen erfolgten. Was man nicht vergessen sollte, sind weitere Bodenaufwertungsmassnahmen in Wettswil und Mettmenstetten. Es wurden eigentlich viele Massnahmen für die Umwelt umgesetzt.

Bei den Anwohnern in Bickwil wurden die Häuser vor dem Bau begutachtet. Kam es hier durch die Baustelle zu Schäden?

Kull: Das kann man noch nicht sagen. Da findet im Juni die Schlussprüfung statt. Da geht man bei allen nochmals vorbei und schaut das an.

Wie war die Zusammenarbeit mit den Anwohnenden während der Bauzeit?

Hürlimann: Ich habe die Zusammenarbeit als angenehm empfunden. Es ist sehr gut gegangen. Es ist schon klar, das es eine Belastung für die Anwohnerinnen und Anwohner war. Aber das war auch allen Parteien bewusst. Es war aber nicht so, dass man nicht willkommen war.

Kull: Es wurde uns überwiegend ein grosses Verständnis für die Bauarbeiten entgegengebracht. Das war aber auch dem Umstand geschuldet, dass die Bevölkerung auch aktiv wahrgenommen hat, wie gearbeitet wurde. Man konnte in kurzer Bauzeit ein relativ grosses Bauvolumen umsetzen. Das Baustellenbild hat sich permanent verändert. Man hat da an mehreren Stellen gleichzeitig gearbeitet.

«Ich habe die Zusammenarbeit mit Anwohnern und Anwohnerinnen als angenehm empfunden.» 

Melven Hürlimann, Bauleiter

Gegen den Lärm wurden Schutzwände aufgestellt und lärmarmer Belag verwendet. Was können Sie dazu sagen?

Kull: Die Strassen wurden mit einem neuartigen, lärmarmen Belag versehen. Der Kanton Zürich forscht seit einiger Zeit an der akustisch wirksamen Verbesserung seiner Standardbeläge. Seit fünf Jahren wird die neue Belagsmischung erfolgreich getestet und eine deutlich wahrnehmbare Verringerung des Lärmpegels gemessen. In Zukunft werden Lärmmessungen durchgeführt werden. Abschliessend beurteilen lässt sich dies erst, wenn die Gemeinden ihre flankierenden Massnahmen umgesetzt haben und sich der Verkehr eingependelt hat.

Vonseiten der Politik wird moniert, dass der Veloverkehr zu wenig berücksichtigt wurde. Sind da die gewünschten Massnahmen umgesetzt oder mussten Abstriche gemacht werden?

Kull: Grundlage für die Erstellung ist der Velonetzplan des Kantons Zürich. Dort sind die verschiedenen Routen und auch Defizite aufgelistet, welche man verbessern muss. Beim Zubringer werden jetzt neu zum Beispiel Velofahrende von Affoltern her über die Lichtsignalanlage beim Knoten Hirschen geführt und der Weg führt dann auf der anderen Seite der Lärmschutzwände durch. Dieser verläuft neben der Überdeckung vorbei bis zur Sennhüttenstrasse und führt dann zum Kreisel Affolternstrasse in Ottenbach. Dort führt der Rad- und Gehweg durch die Unterführung der Langweidstrasse durch. Auch in Rickenbach gibt es neue Veloverbindungen. Man muss da auch die Gesamtbetrachtung sehen. In jedem Projekt werden wieder Teilabschnitte des Velowegnetzes umgesetzt. So folgen bald neue Abschnitte in Ottenbach und Obfelden. Auch darf man nicht ausser Acht lassen, dass das Projekt 2016 festgesetzt wurde. Seit dieser Zeit änderten sich Normen und Bedürfnisse wieder. Unsere aktuellen Velo-Standards wurden etwa erst diesen Februar in Kraft gesetzt.

Wird auf die Eröffnung hin alles fertig gestellt?

Hürlimann: Offen waren wegen dem Wetter noch gewisse Markierungen. Unterdessen sind alle relevanten Markierungen aufgetragen. Es wird schon so sein, dass nach der Eröffnung noch Arbeiten stattfinden, Schwergewicht liegt dort auf der Überdeckung in Bickwil. Dazu kommen die Rückbauten aller Installationsplätze. In Ottenbach wird beim Restaurant Reussbrücke noch ein Gemeindeparkplatz erstellt werden. Weiter finden auch noch Rückbauarbeiten bei diversen Strassen statt, bei denen temporäre Massnahmen nötig waren. Zum Beispiel in Obfelden wird eine Bushaltestelle und auch der Bus-Wendeplatz auf dem Reussparkplatz noch zurückgebaut.

Das grosse Ziel des Zubringers ist die Umfahrung der beiden Gemeinden Obfelden und Ottenbach. Wird dies anhand des Verkehrsflusses überwacht und nach welchen Kriterien wird dies bewertet?

Kull: Vor Baubeginn wurden Verkehrszahlen erhoben und diese werden den neuen Messungen gegenübergestellt. Aber wie erwähnt ist dafür wichtig, dass die flankierenden Massnahmen umgesetzt wurden und die grösseren Baustellen rund um den Autobahnzubringer abgeschlossen sind.

Wie schnell könnten Anpassungen, zum Beispiel an der Lichtsignalanlage oder weitere Massnahmen vorgenommen werden?

Hürlimann: Da ist ein Prozess dahinter. Man muss die Zahlen über einen gewissen Zeitraum beobachten. Da zieht man Verkehrsexperten hinzu und spricht sich auch mit der Polizei ab. Das muss auch gut abgewägt werden. Wenn man auf einer Achse etwas anpasst, ist das Problem immer: Was passiert auf der anderen. Also einfach hingehen und etwas herumschrauben geht nicht.

Wird der öffentliche Verkehr an der neuen Lichtsignalanlage bevorzugt?

Kull: Busbevorzugungen sind eigentlich die Regel bei den Lichtsignalen. Von Obfelden her via Knoten Hirschen be- steht auch eine eigene Busspur, welche direkt zur Autobahnbrücke führt. In diesem Zusammenhang ist auch zu sagen, dass die neuen Haltestellen hindernisfrei erstellt wurden.

Die Kosten für den Zubringer wurden mit dem Zusatzkredit auf rund 80 Millionen beziffert. Konnte dies eingehalten werden oder entstanden noch Mehrkosten?

Kull: Zum heutigen Zeitpunkt gehen wir davon aus, dass der Kredit eingehalten werden kann.

Wie fühlen Sie sich jetzt kurz vor Abschluss des Projektes?

Hürlimann: Ich fühle mich erleichtert. Ich glaube, wir konnten ein relativ eng gestecktes Bauprogramm umsetzen. Es gibt aber schon noch einiges zu tun. Also ganz entspannt sind wir noch nicht.

Kull: Für mich ist das Projekt noch nicht abgeschlossen. Jetzt kommen die Verpflockungen. Da werden mit den betroffenen Eigentümern die neuen Grundstückgrenzen aufgenommen. Aufgrund dessen werden die Landerwerbe abgerechnet. Dazu kommen Auszahlungen für die temporären Beanspruchungen von Land während der Bauarbeiten. Der effektive Projektabschluss für mich kommt, wenn ich im Kantonsrat die Projektabrechnung präsentieren kann. Bis zu diesem Zeitpunkt dauert es in der Regel Jahre. Es ist jeweils nur schwer abzuschätzen, bis wann der Landerwerb auch notariell abgeschlossen ist.

«Zum heutigen Zeitpunkt gehen wir davon aus, dass der Kredit eingehalten werden kann.»

Christian Kull, Gesamtprojektleiter

Um welche Projekte kümmern Sie sich als Nächstes? Was stehen für Projekte an?

Hürlimann: Für mich geht es weiter zur nächsten Baustelle, einer grösseren im Raum Zentralschweiz.

Kull: Als Sektionsleiter betreue ich auch die kommenden Baustellen in der Region. In Ottenbach sind das die Affoltern-, Jonen- und Rickenbacherstrasse. Dieses Projekte sollten auch noch dieses Jahr starten, aktuell ist noch eine Beschwerde hängig. In Obfelden geht es weiter mit dem oberen Teil der Dorfstrasse, später mit der Ottenbacherstrasse und auch der Knoten Kreuzstrasse wird noch umgebaut. Zusätzlich starten wir jetzt dann mit der Planung für die Mettmenstetterstrasse.

Die Verantwortlichen für den Bau des Autobahnzubringers A4 Obfelden/Ottenbach: Christian Kull (links), Gesamtprojekt- leiter des Tiefbauamts Kanton Zürich, und Melven Hürlimann, Bauleiter der Gruner Berchtold Eicher AG. (Bild Dominik Stierli)

Dominik Stierli

Dominik Stierli schreibt seit 2018 für obfelden.info und hat unterdessen sein Hobby zum Beruf gemacht. Seit 2022 schreibt er als Redaktor auch für den Affolter Anzeiger. Über schreibende Unterstützung bei obfelden.info freut er sich jederzeit.

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